Ein schönes Konzept über das Wissen und Nichtwissen ist die Wissensinsel. Man stelle sich vor, die Fläche eines kleinen kreisförmigen Eilands stehe für das angeeignete Wissen eines Menschen. Die Küstenlinie dieser Insel stehe für die Grenze zum Raum des Nichtwissens.

Ganz nach dem Motto “je mehr ich weiß, desto bewusster wird mir, wie wenig ich weiß” wird die Küstenlinie umso länger, je größer die Insel wird. Die Erkenntnis eines wachsenden unbekannten Wissensraums sollte niemanden deprimieren, sondern vielmehr motivieren und in Erstaunen versetzen. Das Staunen ist im Gegensatz zum Jammern und Fordern leider etwas ins Hintertreffen geraten.

Das Bewusstsein über eine schier unendliche Menge an Dingen, die man nicht weiß, ist abgesehen von menschlichen Qualitäten und Charaktereigenschaften möglicherweise einer der Gründe dafür, warum viele echte Wissenschaftler deutlich demütiger auftreten als manch unbeschlagener Schreihals. Im Duktus des Letzteren könnte man sagen: “Sorry Leute, Wissenschaft ist kein Ponyhof!”.

Ein schwarzer Fleck im Wissensgebilde vieler Menschen ist seit geraumer Zeit der Umgang mit statistischen Methoden und Wahrscheinlichkeiten. Ein sehr guter Einstieg in dieses Thema sind die Bücher von Gerd Gigerenzer, der keine Angst davor hat, auch emotional besetzte Themen sachlich zu behandeln. Damit sind seine Texte eine echte Wohltat im Vergleich zu denen der Alltagshysteriker. Mehr zu Gigerenzer findet sich hier: https://www.mpib-berlin.mpg.de/de/mitarbeiter/gerd-gigerenzer.

Sehr lehrreich und wohltuend inhaltsreicher als die Pseudo-Unterhaltungswissenschaftler im TV ist auch die von Gerd Gigerenzer, Statistiker Walter Krämer sowie RWI-Vizepräsident Thomas Bauer auf den Seiten des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung veröffentlichte „Unstatistik des Monats“.

Wer sich einige Artikel in Ruhe durchliest, der erkennt die neutrale wissenschaftliche Sichtweise. Ein gutes Beispiel ist die Debatte um „Todesfälle durch Feinstaub“, die in der Unstatistik des Monats Januar 2019 behandelt wird. Der Artikel des Max-Planck-Instituts bezieht sich auf den Umgang mit einer Studie des Instituts durch die Tagesschau.

Deshalb ist zwar eine Aussage über die durchschnittliche Zahl verlorener Lebensjahre pro Person vernünftig, aber eine Aussage über die Zahl vorzeitiger Todesfälle durch Feinstaub ist es nicht. Denn letztere kann viel kleiner sein oder auch viel größer, als uns diese Unstatistik glauben macht. Wer wie die Tagesschau suggeriert, das Max-Planck-Institut hätte nun durch präzise Berechnungen widerlegt, was man zuvor nur angenommen hat, der handelt mindestens grob fahrlässig.

Man beachte den Passus „kann viel kleiner sein oder auch viel größer“. Soweit kommen einige hyperemotionale Nachrichtenkonsumenten vermutlich nicht, was sehr schade ist.

Der Umgang mit Wahrscheinlichkeiten wird leider auch in der Schulausbildung oft noch stiefmütterlich behandelt. Das mag an Zeitgründen oder an einer  - auf welcher Basis auch immer vorgenommenen - Schwerpunktsetzung liegen.

Unabhängig von den Gründen ist dies aber schade, handelt es sich doch um einen der Bereiche der Mathematik, der sich auch im Alltagsleben als hilfreich erweist, und der nicht nur deshalb überaus spannend ist. Auch am Finanzmarkt hilft das Bewusstsein für den Unterschied zwischen Unsicherheiten und Risiken sowie das Wissen, bestimmte Unsicherheiten weder berechnen noch vermeiden zu können. Nur so kann man sich damit abfinden und mit ihnen zu leben.

Oft fangen die Probleme sogar schon bei schlichteren Themen wie der Prozentrechnung an. So kommen auch beim Thema Finanzen immer wieder bemerkenswerte Erkenntnisse über die vorhandenen und nicht vorhandenen Kenntnisse vieler Menschen ans Licht. Erschreckend ist beispielsweise das Ergebnis einer Umfrage zum Thema Kredit und Tilgung aus dem Jahr 2012. Die Frage lautete wie folgt:

FRAGE: Sie haben einen Kredit mit einem Volumen von 3000$ und einem nominalen Zins von 12% pro Jahr. Jeden Monat zahlen Sie 30$. Wann haben Sie Ihren Kredit abbezahlt?

ANTWORTEN:

a. In weniger als fünf Jahren
b. In fünf bis zehn Jahren
c. In elf bis fünfzehn Jahren
d. In sechzehn bis zwanzig Jahren
e. Nie

Eine einfache Frage ohne Haken und Ösen.

Es folgen noch einmal die möglichen Antworten. In den eckigen Klammern dahinter finden Sie den Anteil der Befragten, die die entsprechende Antwort gewählt haben.

ANTWORTEN:

a. In weniger als fünf Jahren [15%]
b. In fünf bis zehn Jahren [31%]
c. In elf bis fünfzehn Jahren [18%]
d. In sechzehn bis zwanzig Jahren [10%]
e. Nie [26%]

Es handelt sich hier nicht um eine der lächerlichen Straßenumfragen, die man im Fernsehen vorgeführt bekommt, sondern um eine repräsentative, sorgfältig ausgeführte Studie. Die Problematik ist keineswegs ein Problem mangelnder „finanzieller Bildung“, wie gerne betont wird.

Es handelt sich um ein Problem eklatanter Mängel der mathematischen Grundbildung oder um ernstzunehmende Schwierigkeiten beim Transfer vorhandener Grundkenntnisse auf einfachste Alltagsprobleme.

Man könnte möglicherweise auch so spannende Fragen klären, warum es Schüler überfordert, in der Zeit der gymnasialen Mittel- und Oberstufe auf elf Prozent der Schuljahre zu verzichten, es aber der Meinung einiger Lehrer und gefühlter Weltenlenker ist, es sei „wünschenswert“ auf 20% der Schultage zu verzichten. Dieser Sachverhalt könnte jedoch auch ein Fall für ganz besondere Fakultäten sein.

Immerhin erklärt das Resultat, warum die Finanzbranche in Deutschland immer noch ganz ordentlich über die Runden kommt. Es erinnert an die gute alte Anekdote vom Fußballer, der gefragt wurde, ob ihm ein Drittel mehr Gehalt reichen würde. Der Sportsmann soll daraufhin entgegnet haben, das sei zu wenig, ein Viertel müsse es schon sein. Im Bankenjargon klingt das vermutlich so: „Herr Kuballa, Sie sind jetzt 90. Wenn Sie jetzt bauen, dann wohnen Sie in 30 Jahren so gut wie umsonst.“ Wer kann dazu schon nein sagen...

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